Winckelmann und sein Jahrhundert

Johann Joachim Winckelmann gilt als bedeutender Erneuerer der Archäologie und Kunstgeschichte. Mit seiner Formel von der »edlen Einfalt und stillen Größe« antiker Kunst war er ein Wegbereiter der klassizistischen Ästhetik in Europa. Als einflussreicher Gelehrter und Schriftsteller hat er den Blick auf die Antike bis heute wesentlich geprägt.

Als Sohn eines Schusters 1717 in dem etwa 100 Kilometer westlich von Berlin gelegenen Stendal geboren, wuchs Winckelmann in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Weg führte ihn als Lehrer und Bibliothekar von seiner Heimatstadt über Halle, Jena und Seehausen nach Nöthnitz und Dresden. In seiner 1755 publizierten Schrift Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst entwarf er ein emphatisches Bild der idealen Schönheit griechischer Antike, das in Deutschland und in Europa Furore machte. Kurz nach dem Übertritt zum Katholizismus ließ er sich in Rom nieder, wo er im Vatikan zum leitenden Aufseher über die Altertümer aufstieg und durch seine Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) breite internationale Anerkennung erfuhr.

Winckelmann war ein schwärmerischer Visionär und ein geistiger Abenteurer, der für seinen Lebenstraum alles auf eine Karte setzte. In Rom, wo er in Künstlerkreisen verkehrte und seine Homosexualität relativ offen ausleben konnte, suchte er die Freiheit und Schönheit, die er in der griechischen Antike gefunden zu haben glaubte. Seine Ideen, Werke und Briefe, nicht zuletzt aber auch seine brutale Ermordung 1768, die auf Goethe und die Zeitgenossen wie ein »Donnerschlag« wirkte, ließen ihn innerhalb weniger Jahre zu einer in ganz Europa verehrten Berühmtheit aufsteigen.