Sehen Im Zuge seiner Lesetätigkeit arbeitet Winckelmann auch mit antiquarischen Werken wie der mehrbändigen L’Antiquité expliquée et représentée en figures, die mittels einer großen Anzahl an Kupferstichen das Wissen über die Antike auch visuell vermittelt. Schon hier zeichnet sich eine methodische Umkehr vom Lesen zum Sehen ab, die mit der Übersiedelung nach Italien Ende 1755 dann endgültig vollzogen wird.
Als Winckelmann 1748 seine Anstellung als Bibliothekar bei Heinrich von Bünau (1697–1762) auf Schloss Nöthnitz bei Dresden aufnimmt, rückt eine der in dieser Zeit bedeutendsten Kunststädte nördlich der Alpen in sein Blickfeld. Zwar ist er in Dresden vor allem von der Kunst und Architektur des Barock und Rokoko umgeben. Dennoch wird Dresden für ihn zu einem Ort der Offenbarung der Kunst, einem neuen »Athen«. Besonders interessiert zeigt er sich an der Gemäldegalerie und der Antikensammlung. In seiner Erstlingsschrift, den Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst, die kurz vor seiner Abreise nach Italien erscheint, würdigt er neben dem Laokoon als Inbild der »edlen Einfalt und stillen Größe« vor allem die drei sog. Dresdener Herkulanerinnen für ihre musterhaft schlichte Gewandgestaltung. Nicht zuletzt mit Blick auf Raffaels Dresdener Gemälde der Sixtinischen Madonna formuliert er seine berühmte Überzeugung, dass man nur durch die Nachahmung der antiken Griechen »unnachahmlich« werden könne.