Die griechische Schönheit Zwischen Norm und Geschichte

Winckelmanns Wahrnehmung der antiken Skulptur weist eine Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Tendenzen auf. Als er noch in Deutschland war und nur einen beschränkten Zugang zu dreidimensionalen ›Originalen‹ hatte, entwarf er Statuenbeschreibungen, die eine ›idealische‹ Lektüre dieser Kunstwerke in den Mittelpunkt stellten. Bei der Übersiedlung nach Rom rückte die Frage nach der Datierung, d. h. nach der Einbettung dieser Werke in einen historischen Produktionsrahmen in den Vordergrund – ein Ansatz, der ihn dazu anregte, eine Geschichte der antiken Kunst zu verfassen. Allerdings wäre es falsch, Winckelmanns Kunstwahrnehmung als eine kohärente Entwicklung von einem ahistorischen zu einem historisierenden, bzw. von einem idealischen zu einem empirischen Modell zu schildern. Auch als er in Rom war, warf er weiterhin auf einige Statuen, die er als besonders ›schön‹ empfand, – darunter insbesondere die Statuen vom vatikanischen Belvedere-Hof – einen ahistorischen Blick.