Winckelmann und sein Jahrhundert
Anton von Maron (1731–1808)
Bildnis Johann Joachim Winckelmann
1768, Öl auf Leinwand, 136 × 99 cm, sign.: »Antonius Maron fecit/Roma 1768« | © Klassik Stiftung Weimar, Museen, Foto: Alexander Burzik | Katalog 2017 [Nr. 39]
Johann Joachim Winckelmann gilt als bedeutender Erneuerer der Archäologie und Kunstgeschichte. Mit seiner Formel von der »edlen Einfalt und stillen Größe« antiker Kunst war er ein Wegbereiter der klassizistischen Ästhetik in Europa. Als einflussreicher Gelehrter und Schriftsteller hat er den Blick auf die Antike bis heute wesentlich geprägt.
Als Sohn eines Schusters 1717 in dem etwa 100 Kilometer westlich von Berlin gelegenen Stendal geboren, wuchs Winckelmann in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Weg führte ihn als Lehrer und Bibliothekar von seiner Heimatstadt über Halle, Jena und Seehausen nach Nöthnitz und Dresden. In seiner 1755 publizierten Schrift Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst entwarf er ein emphatisches Bild der idealen Schönheit griechischer Antike, das in Deutschland und in Europa Furore machte. Kurz nach dem Übertritt zum Katholizismus ließ er sich in Rom nieder, wo er im Vatikan zum leitenden Aufseher über die Altertümer aufstieg und durch seine Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) breite internationale Anerkennung erfuhr.
Winckelmann war ein schwärmerischer Visionär und ein geistiger Abenteurer, der für seinen Lebenstraum alles auf eine Karte setzte. In Rom, wo er in Künstlerkreisen verkehrte und seine Homosexualität relativ offen ausleben konnte, suchte er die Freiheit und Schönheit, die er in der griechischen Antike gefunden zu haben glaubte. Seine Ideen, Werke und Briefe, nicht zuletzt aber auch seine brutale Ermordung 1768, die auf Goethe und die Zeitgenossen wie ein »Donnerschlag« wirkte, ließen ihn innerhalb weniger Jahre zu einer in ganz Europa verehrten Berühmtheit aufsteigen.
Winckelmann’scher Faun (Kopf eines jungen Pan)
Frühes 2. Jh. n. Chr., Marmor, H. 24 cm, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Inv. GL 261 | © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Foto: Renate Kühling | Katalog 2017 [Nr. 1]
»Schöner als jeder Schönheitsgedanke in Marmor ausgedrückt«, schwärmte Johann Joachim Winckelmann in einem Brief vom 30. April 1763 über den Kopf eines jungen Fauns, den er in der Werkstatt des Bildhauers Bartolomeo Cavaceppi (1715/17–1799) erstmals erblickt und wenig später erworben hatte. Cavaceppi hatte den Kopf an Nase, Kinn und Lippen restauriert. Gleichwohl bildete Winckelmann diese modern ergänzte Antike in seinem letzten Werk, den Monumenti antichi inediti (1767), als ein bislang unbekanntes antikes Kunstwerk ab. Nach seinem Tod gelangte der Kopf zunächst in den Besitz seines Förderers Kardinal Alessandro Albani. Von französischen Truppen 1798 nach Paris verschleppt, wurde er 1815 vom bayerischen Kronprinzen Ludwig I. für die Münchener Glyptothek erworben. Die modernen Ergänzungen Cavaceppis wurden in den 1960er-Jahren entfernt.
Winckelmann’scher Faun (Kopf eines jungen Pan)
Gipsabguss mit modernen Marmorergänzungen von Bartolomeo Cavaceppi: Winckelmann-Gesellschaft, Stendal, Inv. HWG-DL-1 | © Klassik Stiftung Weimar, Foto: Candy Welz
Als der Winckelmann’sche Faun in den 1960er Jahren restauriert wurde, entschied man sich, die modernen Ergänzungen Cavaceppis zu entfernen und nur das antike ›Original‹ zu erhalten. Die entfernten Marmorergänzungen wurden später in einen Gipsabguss des Winckelmann-Museums in Stendal integriert, der auf diese Weise einen Eindruck von der ursprünglichen Erscheinung des von seinem einstigen Besitzer als Inbegriff des Schönen gefeierten und geküssten Fauns gibt.
Johann Joachim Winckelmann
Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati da Giovanni Winckelmann, 2 Bde., Roma: A spese dell’autore, nella stamparia di M. Pagliarini, 1767
Taf. 59 | © Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Foto: Hannes Bertram
»es ist mein Ganymedes, den ich ohne Aergerniß nel cospetto di tutti i Santi [in Gegenwart aller Heiligen] küßen kann«
(J. J. Winckelmann an L. F. W. Schlabbrendorf, 19. Oktober 1765)
»… ein beschädigter Kopf eines jungen Fauns von so hoher himmlischer Schönheit, daß er alles übertrifft was ich gesehen, und was seyn kann. Beständig denke ich an denselben und die Nacht träume ich davon«
(J. J. Winckelmann an L. Usteri, 16. April 1763)