Impuls und Nachhall eines vielfältigen Werks
Die von Winckelmann in seinem Hauptwerk entwickelte Kategorie des Stils erwies sich nicht nur für die Erfassung der antiken Kunstgeschichte als äußerst produktiv. Als allgemeines Entwicklungs- und Klassifizierungsmodell hat sie ihre Anwendbarkeit auch auf anderen Gebieten unter Beweis gestellt. So beriefen sich verschiedene Kunsthistoriker wie Jean-Baptiste-Louis-Georges Séroux d’Agincourt (1730–1814) oder Leopoldo Cicognara (1767–1834: digitale Version, Universität Heidelberg) auf Winckelmann und übertrugen sein Modell auf die Kunstgeschichte des Mittelalters und der Moderne. In der Archäologie war es beispielsweise Carl August Böttiger (1760–1835), der Winckelmanns »Geschichte der griechischen Plastik« ausdrücklich zur »Grundveste aller Archaeologie« erklärte. Johann Gottfried Herder (1744–1803) entwickelte sein eigenes Geschichtsmodell maßgeblich aus seiner Lektüre Winckelmanns und Friedrich Schlegel (1772–1829) hegte die Hoffnung, mit seiner Geschichte der griechischen Poesie zu einem Winckelmann der antiken Literatur zu werden. Unerwarteter – dafür aber umso faszinierender – ist der Bezug des Naturhistorikers Jean-Baptiste-René Robinet de Chateaugiron (1735–1820) auf Winckelmanns Kunstgeschichte. Analog zur Kunst ordnete er die verschiedenen Entwicklungsstufen der Natur in ein naturhistorisches Transformationsmodell. Wie die breit angelegten Randkommentare in seinem Handexemplar der Geschichte der Kunst des Alterthums zeigen, hat auch Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) Winckelmanns Hauptwerk einer akribischen Lektüre unterzogen. Der Einfluss des Buches auf Lessings Laokoon-Schrift (1766) ist unverkennbar. In diese breite Rezeption mischte sich aber auch Kritik, wie sie etwa der Altertumswissenschaftler Christian Gottlob Heyne (1729–1812) oder der Schriftsteller Wilhelm Heinse (1746–1803) äußerten.