Die »Winckelmann-Renaissance« in der Zeit des Nationalsozialismus Anlässlich der in Berlin ausgetragenen XI. Olympischen Spiele von 1936 verkündete Adolf Hitler die Wiederaufnahme der 1881 abgebrochenen Ausgrabungen in Olympia, die er mit seinem persönlichen Dispositionsfonds finanzierte. In der intendierten Außenwirkung standen Spiele und Grabungen im Zeichen des »Olympischen Gedankens«. Bald schon wurde jedoch deutlich, dass das von Hitler proklamierte »Wiederauffinden … des richtigen Weges« zur Antike eine rassistisch-ideologische Aneignung derselben bedeutete. Die realpolitische Aneignung erfolgte 1941, als deutsche Wehrmachtssoldaten in Griechenland einfielen und mit ihren Geschützen auch die Athener Akropolis besetzten. Gleichzeitig fand eine von den Fachvertretern der Archäologie nachdrücklich begrüßte »Winckelmann-Renaissance« statt.
Olympia und der deutsche Geist. Ausstellung zur XI. Olympiade, Frankfurter Kunstverein
Frankfurt am Main: Woeller & Weisbecker, 1936 | Stefan George Archiv in der Württembergischen Landesbibliothek, Stuttgart | © Stefan George Archiv in der Württembergischen Landesbibliothek, Stuttgart | Katalog 2017 [Nr. 121]
»Darum treten in der Ausstellung ›Olympia und der deutsche Geist‹ Griechenland und Deutschland gleichsam in musischen Wettkampf auf den Plan: das Griechentum der Blütezeit Olympias und das Deutschtum der Gegenwart mit Hinblick auf eine Vergangenheit, in welcher von Winckelmann über Hölderlin bis zu Nietzsche und George die Deutschen allein unter den Europäern ausersehen waren, das griechische Wesen am tiefsten und in geheimer Wahlverwandtschaft mit ihm zu durchdringen, zu deuten und es deutschem Wesen anzuverwandeln.«
(Katalog zur Ausstellung Olympia und der deutsche Geist, Frankfurt am Main, 1936)
Ruf der Klassik. Aus den Briefen J. J. Winckelmanns
hg. von Heinz Schmoll. Mit einem Bild Winckelmanns nach einem Gemälde von Angelika Kaufmann [!], Frontbuchhandelsausgabe für die Wehrmacht, Berlin: B. Behr’s Verlag, 1943 | Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Sign. 20442-A | © Klassik Stiftung Weimar, HAAB, Foto: Hannes Bertram | Katalog 2017 [Nr. 124]
Aufgabe der im September 1939 gegründeten »Zentrale der Frontbuchhandlungen« (ZdF) war es, deutschen Soldaten in den von ihnen besetzten Ländern eine Auswahl vor allem unterhaltender Literatur bereitzustellen. Bemerkenswerterweise zählte zu den hierunter fallenden Werken auch eine Sammlung von Briefen Winckelmanns, die auf Carl Justis populäre Lebensbeschreibung Winckelmanns zurückgriff. Proklamiertes Ziel dieser Ausgabe war es, »aus den Briefen den Menschen entstehen [zu] lassen«.
Gruppenbild mit Generalfeldmarschall Werner von Brauchitsch (l.) und dem Archäologen Walther Wrede (r.) auf der Athener Akropolis
Verlag Heinrich Hoffmann (1885–1957), Fotograf: Schlikum, Mai 1941, Fotografie, 13 × 18 cm | Bayerische Staatsbibliothek, München, Inv. Hoffmann P.89; hoff-35216 | © Bayerische Staatsbibliothek München, Bildarchiv | Katalog 2017 [Nr. 125]
Die Präsenz deutscher Soldaten auf der Akropolis war, wie Aufnahmen aus dem Archiv von Hitlers »Leibfotografen« Heinrich Hoffmann (1885–1957) veranschaulichen, ein von den nationalsozialistischen Medien gern verbreitetes, symbolträchtiges Motiv. Die Anwesenheit des Archäologen Walther Wrede in Wehrmachtsuniform zeigt, welche Bedeutung die Archäologie für das NS-Regime hatte und wie eng die Verschränkung von ›wissenschaftlichem‹ und militärischem Einsatz war.
Mitteilungen der Winckelmann-Gesellschaft 1
Stendal, 1941 | Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Sign. Z 578 (1) | © Klassik Stiftung Weimar, HAAB, Foto: Hannes Bertram | Katalog 2017 [Nr. 213]
Die Gründung der Winckelmann-Gesellschaft im Jahre 1941 fällt in die Zeit einer von Archäologen wie Gerhart Rodenwaldt oder Germanisten wie Hans Ruppert nachdrücklich heraufbeschworenen »Winckelmann-Renaissance«. Der Bezug zum parallel stattfindenden Griechenlandfeldzug der Deutschen Wehrmacht wurde im Einleitungsaufsatz des ersten Heftes der Mitteilungen der Winckelmann-Gesellschaft explizit formuliert.
»Der vorläufige Bestand von rund 250 Mitgliedern … läßt erkennen, daß das Erbe Winckelmanns auch und gerade für die heutige Zeit lebendig geblieben ist, die Zeit, in der deutsche Soldaten auf der Akropolis stehen und die griechische Kunst mit den Augen Winckelmanns sehen.«
(Karl Wernecke, Dem Erforscher und beredten Verkünder der Kunst des Altertums, in: Mitteilungen der Winckelmann-Gesellschaft Stendal 1, 1941)
Venus Medici
1. Jh. n. Chr. nach einem Original des 1. Jhs. v. Chr., Marmor, H. 152 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz, Inv. 224 | Abguss in Bronze aus dem Besitz Hermann Görings, nicht datiert, Hohlguss, Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin, Inv. VZO/41 (Kunstbesitz der Bundesrepublik Deutschland) | © Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Foto: Hubert Graml | Katalog 2017 [Nr. 126]
Die Bronzekopie der Venus Medici stammt von dem Landsitz Carinhall des ehemaligen Preußischen Ministerpräsidenten und Generalfeldmarschalls Hermann Göring (1893–1946). Die Figur, deren Provenienz bis heute ungeklärt ist, wurde 1945 vor der Sprengung Carinhalls von deutschen Soldaten im Großen Döllnsee versenkt und 1990 gemeinsam mit vier Statuen von Arno Breker (1900–1991) und Hans Krückeberg (1878–1952) wieder geborgen.
Dionysos »Sardanapal«
Römische Marmorkopie des 2. Jhs. n. Chr. nach einem griechischen Bronzeoriginal des 4. Jhs. v. Chr., Marmor, H. 206 cm, Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo alle Terme, Rom, Inv. 108605 | Fotografie, o. J. (nach 1954), 28,1 x 19,1 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Inv. KPh/6775 | © Klassik Stiftung Weimar, Museen | Katalog 2017 [Nr. 135]
Die 1927 gefundene Replik des bärtigen, als älterer Mann dargestellten Gottes Dionysos, deren Typus bereits Winckelmann bekannt war, gelangte 1944 als ein Geschenk des italienischen Regierungschefs und Faschistenführers Benito Mussolini nach Weimar, um in der dortigen Nietzsche-Gedächtnishalle aufgestellt zu werden. Nach dem Krieg wurde die überdimensionale, aufgrund ihrer Verbindung mit dem »Faschismus« unliebsam gewordene Skulptur als Dauerleihgabe an das Pergamon-Museum nach Ostberlin abgegeben. Nach der Wiedervereinigung stimmten die Behörden der Forderung des italienischen Staates nach Rückgabe zu: Die Statue, die mit ihrer Geschichte die ›dunkle‹ Seite des klassischen Weimar verkörpert, ist seitdem wieder in Rom zu sehen.
»Ich habe mich nun entschlossen, zur bleibenden Erinnerung an die Feier der XI. Olympiade 1936 zu Berlin die im Jahre 1875 begonnenen Ausgrabungen der olympischen Fest- und Sportstätten wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen.«
(A. Hitler, Rede anlässlich des Empfangs des Internationalen Olympischen Komitees in der Reichskanzlei, 1. August 1936)»Unser heutiges Verhältnis zu der Persönlichkeit und dem Werke Winckelmanns ist ungleich näher, unmittelbarer und herzlicher. Man kann von einer Winckelmann-Renaissance sprechen. Es sei an die Reden von L. Curtius, R. Große, A. Ippel, W. Rehm, W. Schadewaldt erinnert, ferner an die Neuausgaben von W. Wätzoldts Kapitel über Winckelmann und W. Schäfers Novelle »Winckelmanns Ende«. Das Archäologische Seminar der Universität Berlin und das Museum für Gipsabgüsse wurden unter dem Namen »Winckelmann-Institut« zusammengefaßt. Von der Edition der Werke Winckelmanns ... nähert sich der erste Band der von W. Rehm bearbeiteten Ausgabe der Briefe dem Abschluß. Groß ist das Echo, das die ... Begründung einer Winckelmann-Gesellschaft gefunden hat.«
(Gerhart Rodenwaldt, Rede zum 101. Winckelmannsfest am 9. Dezember 1941)