Politik Kunst, Macht, Gesellschaft
Die politische Dimension von Winckelmanns Werk ist schon früh erkannt worden. Dabei war es zunächst Frankreich, wo sich ab 1789 zahlreiche Akteure der Revolution auf den von Winckelmann behaupteten Zusammenhang von Freiheit und Kunstblüte im Perikleischen Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. beriefen, den sie in ein politisches Programm übersetzten. Doch auch außerhalb Frankreichs und Deutschlands hat Winckelmann immer wieder als Referenzpunkt politischer Projekte gedient, so etwa bei der Gründung des modernen griechischen Staates.
Aus dem europäischen wird im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zunehmend ein deutscher Winckelmann, den man immer wieder in den Dienst nationaler Projekte und Ansprüche stellt. Vor allem im nationalsozialistischen Deutschland wurde sein Griechenideal einer ideologischen Instrumentalisierung unterzogen und Winckelmann als »großer Deutscher« für das Programm eines politischen Klassizismus reklamiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Winckelmann-Deutung in beiden Teilen Deutschlands an die veränderte politische Situation angepasst. Die DDR trat anlässlich des letzten Jubiläumsjahres 1967/68 mit der Überzeugung auf, der »legitime Erbe« einer durch Winckelmann verkörperten progressiven Tradition zu sein. Demgegenüber zog man sich in Westdeutschland zunehmend auf eine historisch-philologische Auseinandersetzung mit Winckelmann zurück, der allenfalls noch als »Mythos«, keineswegs aber als eine für die Gegenwart noch relevante Leitfigur wahrgenommen wurde.