Giulio Paolini (* 1940)
Proteo I
1971, Bruchstücke einer Maske des Homer, Gips, 10 × 30 × 30 cm | Klassik Stiftung Weimar, Museen, Inv. PM O 5 | © Fondazione Giulio e Anna Paolini, Turin, Foto: Mario Sarotto | Katalog 2017 [Nr. 136]
Giulio Paolinis 1971 entstandenes plastisches Werk Proteo I, zu dem zwei weitere Arbeiten, Proteo II und Proteo III, gehören, zeigt den in viele Einzelteile zerbrochenen Gipsabguss einer Maske Homers. Der zertrümmerte Gips lässt sich als eine Einladung an den Betrachter verstehen, das zerstörte Werk in seiner ursprünglichen Ganzheit neu zu imaginieren.
»Man kann nicht ohne Klagen die Nachrichten von so vielen alten Denkmalen der Kunst lesen, welche sowohl in Rom, als anderwerts, zu unserer Väter Zeiten vernichtet worden, und von vielen hat sich nicht einmal die Anzeige erhalten.«
(J. J. Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums, 1764)
»Ich bin in der Geschichte der Kunst schon über ihre Grenzen gegangen, und ungeachtet mir bei Betrachtung des Untergangs derselben fast zumute gewesen ist wie demjenigen, der in der Beschreibung der Geschichte seines Vaterlandes die Zerstörung desselben, die er selbst erlebt hat, berühren müßte, so konnte ich mich dennoch nicht enthalten, dem Schicksale der Werke der Kunst so weit mein Auge ging nachzusehen. So wie eine Liebste an dem Ufer des Meeres ihren abfahrenden Liebhaber, ohne Hofnung ihn wieder zu sehen, mit bethränten Augen verfolget, und selbst in dem entfernten Segel das Bild des Geliebten zu sehen glaubt. Wir haben, wie die Geliebte, gleichsam nur einen Schattenriß von dem Vorwurfe unsrer Wünsche übrig; aber desto größere Sehnsucht nach dem Verlohrnen erwecket derselbe, und wir betrachten die Copien der Urbilder mit größerer Aufmerksamkeit, als wie wir in dem völligen Besitze von diesen nicht würden gethan haben. Es geht uns hier vielmals, wie Leuten, die Gespenster kennen wollen, und zu sehen glauben, wo nichts ist: der Name des Alterthums ist zum Vorurtheil geworden; aber auch dieses Vorurtheil ist nicht ohne Nutzen. Man stelle sich allezeit vor, viel zu finden, damit man viel suche, um etwas zu erblicken.«
(J. J. Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums, 1764)